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Und wieder aktuell - WENN ES KNALLT Verfasst am: 31.12.2017, 14:18 |
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Immer noch Finger weg von Acepromazin! Und was Neues!
von Ralph Rückert, Tierarzt
Viele Hunde verkriechen sich gerne, wenn sie Angst haben.
Vorletztes Jahr habe ich den obligatorischen Silvesterartikel erst viel zu spät, nämlich am 27. Dezember gepostet, 2015 dann schon Anfang Dezember, und dieses Jahr versuchen wir es mal so richtig früh, in den ersten Tagen des Novembers, denn es gibt neue und wichtige Infos zu dem Thema.
Das Wichtigste (wie jedes Jahr) zuerst: Geben Sie Ihrem Hund auf gar keinen Fall Acepromazin! Dieses Phenothiazin-Derivat ist ein Neuroleptikum und Sedativum und wird unter den Handelsnamen Vetranquil, Sedalin, Calmivet und Prequillan vertrieben. Acepromazin wurde früher weit verbreitet an Silvester eingesetzt und hat dabei von außen betrachtet eine gute Wirksamkeit gezeigt, sprich die Hunde waren richtig platt. Seit geraumer Zeit wissen wir aber, dass das Geräuschempfinden und die damit verbundene Angst der Patienten durch den Wirkstoff nicht wirklich eingeschränkt werden. Der Hund hat also keinen Deut weniger Angst als sonst, er ist nur körperlich unfähig zu erkennbaren Reaktionen. Das ist natürlich eine ganz fiese Sache, also Finger weg! Es gibt durchaus nach wie vor Kolleginnen und Kollegen, bei denen diese Erkenntnis bisher leider nicht angekommen ist.
Bild zur Neuigkeit
So, durch die Erfahrungen des letzten Jahres gewitzt, werden wir jetzt erst mal definieren, um was es geht, wenn wir über die pharmakologische Dämpfung schwerer Geräusch- bzw. Silvesterangst reden: Es geht in erster Linie um Hunde, die an Silvester unter panischen, nicht kontrollierbaren Angstzuständen leiden, also um Tiere, die völlig erstarren, die nur noch zittern, die Harn und Kot unter sich lassen oder erbrechen, die auch durch ein offenes Fenster im dritten Stock springen würden, um der Situation zu entgehen, und so weiter und so fort.
Die wissenschaftliche Verhaltensmedizin ist sich sicher, dass Angstzustände von solcher Intensität nicht zuletzt unter tierschützerischen Aspekten pharmakologisch gedämpft werden sollten, weil sonst ein Teufelskreis in Gang kommt, der sich jedes Jahr weiter verstärkt. Zur eigentlichen Angst vor der für den Hund nicht korrekt zuzuordnenden Knallerei, den optischen Effekten und dem Geruch tritt nämlich in zunehmendem Maß die Angst vor der Angst, und genau dieser Effekt wird erfahrungsgemäß immer schlimmer.
Letztes Jahr habe ich mich im Rahmen der etwa 700 Beiträge umfassenden Facebook-Diskussion meines Silvester-Postings zu folgendem Statement gezwungen gesehen:
"Der Kurz-Artikel hat ca. 550 Wörter. 107 davon, also gerade mal ein Fünftel, beschäftigt sich damit, dass BEI EXTREM VERÄNGSTIGTEN Hunden die Verwendung von angstlösenden Benzodiazepinen in Betracht gezogen werden könnte. Ansonsten warne ich noch vor der Anwendung von Acepromazin und weise auf andere und völlig harmlose Möglichkeiten hin, weniger extreme Angstzustände unter Kontrolle zu bringen. Nichtsdestotrotz hat dieses recht kurze Eingehen auf die bezüglich schwerer Angstzustände überaus wichtige Medikamentengruppe der Benzodiazepine, deren Nicht-Erwähnung tiermedizinisch absolut nicht zu rechtfertigen gewesen wäre, leider dazu geführt, dass sich hier in der Diskussion wieder mal die übliche Rotte der selbstgerechten Ignoranten mit dem Ziel der Demonstration ihrer vermeintlichen moralischen Überlegenheit versammelt hat. Ich schäme mich richtig schön fremd und entschuldige mich bei allen Hundebesitzern, die genau wissen, wovon die Rede ist, wenn ich von "extrem verängstigt" schreibe, und die sich wohl oder übel gezwungen gesehen haben oder sich noch gezwungen sehen werden, das schreckliche Leiden ihrer Hunde mit Benzodiazepinen zu lindern. Ich kann Ihnen aus meiner langen Berufserfahrung heraus versichern, dass die Besitzer von Hunden, bei denen Bach-Blüten, Globuli, etwas zu futtern oder Spielablenkungen zur Angstbewältigung ausreichen, sich zwar sehr glücklich schätzen können, aber nicht die geringste Ahnung davon haben, was mit extremen Angstzuständen gemeint ist. Ich bitte Sie, sich von diesem selbstbeweihräuchernden Geschwätz nicht verunsichern zu lassen. Wenn Sie psychisches und physisches Leiden in so übler Ausprägung durch die Gabe von ein oder zwei Dosierungen Diazepam oder Alprazolam entscheidend lindern können, dann verhalten Sie sich sicher tierschutzgerechter als jede Kommentatorin mit nachgerade absurder Benzodiazepin-Paranoia, die lieber ihren Hund zwei Tage doppelt angeleint (oder besser: an sich gefesselt?) durch die Gegend schleift, als ihm ein wenig "chemische" Erleichterung zu gönnen. Benzodiazepine sind kein Werk des Teufels, und wer sie bei sich selbst oder seinem Tier anwenden muss, ist auch beileibe kein verantwortungloser und böser Mensch. So, jetzt bin ich stellvertretend für Sie, die Besitzer extrem feuerwerks- und gewitterängstlicher Hunde, mal kurz geplatzt, damit Sie locker bleiben können und sich nicht alleingelassen fühlen müssen.“
Nun, damit sollte dieses Mal klar sein, um was es eigentlich geht. Widmen wir uns doch zuerst mal den Tieren, die zwar erkennbar Schiss vor der Knallerei haben, ihre Angst aber noch ganz gut kontrollieren bzw. bewältigen können.
In solchen Fällen können Präparate versucht werden, die nicht als Medikamente, sondern als Nahrungsergänzungsmittel deklariert sind, wie zum Beispiel Zylkene und Adaptil-Tabletten. Unter dem Namen Adaptil werden auch ein Pheromonverdampfer für die Steckdose und ein Pheromon-Halsband vertrieben, die sich ebenfalls als hilfreich erweisen können.
Es spricht natürlich auch nichts gegen die Verabreichung von Bachblüten-Tröpfchen oder irgendwelcher Globuli Ihrer Wahl. Wenn dadurch Sie als Besitzer über den sogenannten „Placebo-by-proxy-Effekt“ beruhigt werden, wird sich das auch Ihrem Hund positiv mitteilen, was durchaus hilfreich sein könnte.
Meine Kollegin Sophie Strodtbeck beschreibt in einem Artikel zum gleichen Thema, dass sie einem ihrer Hunde durch geräuschdämpfende Maßnahmen helfen konnte. Sie hat Watte in die Ohren gepackt, einen Schal um den Hundekopf gewickelt und diesen mit selbstklebendem Verband fixiert. Ich wäre ehrlich gesagt nicht auf einen solchen Gedanken gekommen, aber einen Versuch könnte das wohl wert sein. Durch einen Kommentar meiner lieben Kollegin Sabine Schroll wurde ich letztes Jahr daran erinnert, dass es ja auch noch die sogenannten Mutt Muffs zur Geräuschabschirmung gibt. Einfach mal googeln! Bei den Teilen scheint allerdings der Preis etwas abschreckend zu sein.
Zuletzt seien noch die sogenannten Thunder-Shirts erwähnt, eng anliegende und elastische Bodys, die durch die auf den Hundekörper ausgeübte sanfte Kompression ebenfalls einen beruhigenden Effekt erzielen sollen. Ich habe damit keine eigenen Erfahrungen, aber schon viele positive Berichte gelesen.
Oft wurde und wird dazu geraten, die Angst des Hundes einfach zu ignorieren, um das Problem nicht auch noch durch Bestätigung zu verstärken. Das sieht man inzwischen anders. Ob die aktuelle Meinung die richtige ist? Keine Ahnung! Ich folge da einfach meinem Bauchgefühl. Unser Nogger, sonst ganz der furchtlose Terrier, kann mit Feuerwerk gar nicht umgehen. Er sucht in seiner Angst die körperliche Nähe zu seinen Menschen, und die bekommt er auch. Wenn Ihr Hund in dieser Situation Körperkontakt, Berührung oder gar eine beruhigende Massage haben möchte, dann lassen Sie sich um Gottes Willen nicht durch zweifelhafte Ratschläge davon abhalten.
Auf allgemeine Maßnahmen wie das Aufsuchen ruhiger Räume, Musik, Fernsehr und das Herunterlassen der Rollläden muss ich wohl nicht extra eingehen.
So, widmen wir uns nun den extremen Fällen, die wir weiter oben schon eingegrenzt und definiert haben. Alle Besitzer(innen) von Tieren, die ihre Angst noch kontrollieren können bzw. durch die angeführten Maßnahmen der milderen Art halbwegs zurecht kommen, können an dieser Stelle eigentlich aussteigen. Jetzt geht es um Hunde, bei denen es so schlimm ist, dass man mit ihnen an Silvester stundenlang über die Autobahn gondelt oder gleich einen Kurzurlaub in einem völlig einsam gelegenen Hotel bucht.
Letztes Jahr habe ich für diese Extremfälle die zeitlich begrenzte Anwendung von Benzodiazepinen wie Diazepam oder Alprazolam (mein Favorit) empfohlen. Benzodiazepine sind im Gegensatz zum oben erwähnten Acepromazin tatsächlich anxiolytisch, also angstlösend, und werden vom Patienten als entsprechend wohltuend und stressmindernd wahrgenommen. Diese Medikamentengruppe gilt auch als sehr anwendungssicher. Wieder im Gegensatz zu Acepromazin kann es bei Benzodiazepinen eigentlich nicht zu bedrohlichen Kreislaufdepressionen kommen. Das zweifellos vorhandene Suchtpotential der Benzodiazepine spielt bei einer so kurzen Anwendungsdauer und bei Patienten, die nicht selbst über die fortgesetzte Einnahme entscheiden können, nicht die geringste Rolle.
Eine Alternative zu Benzodiazepinen, die unter Kolleginnen und Kollegen als gut wirksam gilt, mag das Antiepileptikum Imepitoin (Handelsname "Pexion") darstellen. Ich habe damit bisher keine eigenen Erfahrungen gemacht. Mit der Gabe muss allerdings in sich steigernder Dosierung bereits fünf Tage vor Silvester begonnen werden. Da das Präparat für die Behandlung der Epilepsie zugelassen ist, handelt es sich bei der Anwendung gegen Geräuschangst um einen sogenannten Off-Label-Use.
Seit diesem Jahr - und damit kommen wir zu der angekündigten Neuigkeit - haben wir nun plötzlich ein arzneimittelrechtliches Problem: Die sogenannte Kaskadenregel verpflichtet uns Tierärzte, bei der Behandlung bestimmter Krankheitsbilder immer zuerst auf Medikamente zuzugreifen, die genau für diesen Zweck zugelassen sind. Bisher gab es keine ausdrücklich für (extreme) Silvesterangst zugelassenen Präparate auf dem Markt. Das hat sich mit der Einführung des Präparats "Sileo" mit dem Wirkstoff Dexmedetomidin geändert. Bei enger Sicht der arzneimittelrechtlichen Vorschriften (und eine andere als die enge Sicht gibt es nach Meinung der Überwachungsbehörden nicht!) kann eine medikamentöse Linderung schwerer und akuter Geräuschangst dieses Silvester eigentlich nur mit Sileo durchgeführt werden. Die Abgabe bzw. Verschreibung von Benzodiazepinen wie Alprazolam aus dem humanmedizinischen Bereich oder der Off-Label-Gebrauch von Imepitoin (Pexion) ist mit der Zulassung von Sileo für den Tierarzt zu einem riskanten Rechtsverstoß geworden.
Wie sich Sileo im realen Leben an Silvester bewähren wird, werden wir dieses Jahr sehen. Die der Zulassung zugrundeliegenden Arbeiten und Daten klingen auf jeden Fall ermutigend. Die korrekte Anwendung des Präparates ist erklärungsbedürftig. Es liegt in Form eines Gels vor, das über die Backenschleimhaut aufgenommen werden muss und nicht etwa abgeschluckt werden soll. Käufer des Medikaments werden von uns entsprechend unterrichtet. Der Hersteller hat auch ein ausführliches Erklärungs-Video online zur Verfügung gestellt.
Zu guter Letzt komme ich noch auf eine vom Arzneimittelrecht völlig unberührte Alternative zur Beruhigung sehr ängstlicher Hunde zu sprechen, die voriges Jahr während der Diskussion ebenfalls für gewaltige Aufregung gesorgt hat, nämlich Alkohol. Alkohol, von Hunden speziell in Form von Eierlikör sehr gern aufgenommen, ist natürlich - wie wir fast alle wissen - in der korrekten Dosierung ein recht potentes Sedativum mit angstlösender Wirkung. Mein Terrier Nogger (knapp 10 kg schwer) hat letztes Silvester um 20 und um 23 Uhr jeweils einen Esslöffel Eierlikör bekommen, und es hat ihm sowohl sehr gut geschmeckt als auch nach meinem Dafürhalten beträchtlich geholfen. Diese meine Erfahrung wurde mir auch von verschiedensten Seiten genau so bestätigt.
Natürlich werden jetzt wieder diejenigen, die alles glauben, was im Internet steht (Alkohol wird ja da immer gern unter den zehn für den Hund giftigsten Substanzen aufgeführt), mit den üblichen Anwürfen kommen: Wie kann man nur, als Tierarzt!!! Völlig verantwortungslos!!! Inkompetenter Idiot!!! Suchen Sie sich einfach was aus, geht mir glatt am Allerwertesten vorbei. Fakt ist: Hunde fallen von einer begrenzten Menge Alkohol keineswegs tot um, sondern werden - wie wir Menschen - einfach etwas angesäuselt, was in diesem Fall genau der gewünschte Effekt ist. Und Hunde werden auch nicht, wenn sie einmal im Jahr eine minimale Menge Alkohol bekommen, zu Alkoholikern.
Ich bin Pragmatiker. Ich weiß demzufolge, dass das häufiger gemacht wird, als man denken würde. Warum also nicht mal drüber reden? Und ich traue den meisten meiner Mitmenschen selbständiges Denkvermögen zu. Sie können das also in meinen Augen mit aller gebotenen Vorsicht ruhig mal versuchen. Vielleicht ist ja am Ende Eierlikör die passende Lösung für Sie und Ihren Hund.
So, damit bleibt mir nur, uns allen die Daumen zu drücken, dass wir diesen für unsere Hunde so stressigen Tag in sieben Wochen wieder mal halbwegs gut hinter uns bringen.
© Kleintierpraxis Ralph Rückert
http://www.tierarzt-rueckert.de
Quellen:
http://www.tierarzt-rueckert.de/blog/index.php
Photo: Terrier-Journal |
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